Untersuchung kindlicher Zweisprachigkeit Deutsch?Russisch
Die vorliegende Studie bietet einen detaillierten und differenzierten Einblick in die mündlichen Sprachfähigkeiten eines neun Jahre alten bilingualen Kindes, das mit Deutsch als dominanter Umgebungssprache und Russisch als Familiensprache aufwächst. Im Zentrum steht die vergleichende Analyse produktiver Sprachfähigkeiten durch Nacherzählungen von Märchen in beiden Sprachen. Die Ergebnisse stützen eindrucksvoll die These einer globalen Dominanz des Deutschen, insbesondere im morphosyntaktischen und performativen Bereich (z. B. Sprechsicherheit, Satzbau, Interferenzen), während der lexikalisch-semantische Bereich weitgehend ausbalanciert erscheint.
Besonders bemerkenswert ist die differenzierte Auseinandersetzung mit typischen Merkmalen bilingualer Sprachproduktion, wie Selbstkorrekturen, Interferenzen und semantischen Umschreibungen. Statt als Defizite zu werten, interpretiert die Studie viele dieser Erscheinungen als Ausdruck metalinguistischer Kompetenz und positiver Interdependenz beider Sprachsysteme. Die Untersuchung zeigt zudem, dass die Sprachen zwar strukturell weitgehend getrennt funktionieren, sich jedoch inhaltlich und formal gegenseitig beeinflussen.
Trotz der Begrenzung auf einen einzigen Probanden liefert die Arbeit wertvolle qualitative Erkenntnisse über die Dynamiken bilingualer Sprachentwicklung und die wechselseitige Beziehung zwischen dominanter und nicht-dominanter Sprache. Sie überzeugt durch methodische Sorgfalt, theoretische Fundierung und sprachwissenschaftliche Tiefenschärfe ? ein gelungener Beitrag zur Einzelfallforschung im Bereich kindlicher Zweisprachigkeit.